Trauma und Naturkatastrophen

Deutschland hat eine Flutkatastrophe heimgesucht. Viele Menschen haben ihr Leben verloren. Die, die überlebt haben, haben schreckliche Erfahrungen gemacht, die sie sicherlich psychisch belasten. Viele von Ihnen stehen vor einer großen Unsicherheit. Sie haben das meiste Hab und Gut verloren. Noch ist nicht klar, was davon bezahlt wird. Es ist unklar, wie das Leben weitergehen kann. Die Häuser sind momentan unbewohnbar, manche sind eingestürzt, andere vom Einsturz bedroht. Es gibt weder Strom, noch sauberes Wasser.

Das kleine Flüsschen Ahr hat innerhalb von Minuten einiges Zerstört. Ganz Deutschland, vielleicht auch Europa, ist entsetzt über das Ausmaß, über diese Bilder. Naturkatastrophen, die sonst so weit weg waren, finden plötzlich vor der Haustür statt. Auch beim Betrachten der Bilder im Fernsehen stellt sich schnell ein Gefühl der Hilflosigkeit ein.

Jetzt, da die Flut vorbei ist, ein erster Überblick über die Lage möglich ist, das erste Chaos beseitigt ist, kommen die Betroffenen zur Ruhe. Bislang haben die meisten von Ihnen vermutlich einfach funktioniert. Versicherungen angerufen, Schlamm, kaputte Möbel, etc beseitigt. Eine Unterkunft für die ersten Tage gesichert. Und jetzt, da erstmal alles so ist wie es ist, kommen die Bilder wieder hoch, die Gefühle, die Ängste, die Not. Alpträume, plötzliches Zusammenzucken, Unruhe, Rastlosigkeit, Wut, Erstarrung,…

All das sind normale Reaktionen. Unser Gehirn und unser Körper müssen das Geschehene erst verarbeiten. Diese Situation, der die Betroffenen ausgesetzt waren, war so außergewöhnlich, so überfordern, dass es gar nicht möglich ist, einfach weiter zu machen. Wir brauchen Zeit, damit wir wirklich wieder zur Ruhe kommen können. Damit wir unsere neue Lage begreifen und akzeptieren können und damit wir überhaupt erst wieder nach vorne blicken können.

Manche sprechen schon von Trauma. Aber das ist noch zu früh. Erstmal ist das alles völlig normal. Bei den allermeisten wird dieser unangenehme Zustand wieder zurück gehen. Es wird ein paar Wochen dafür brauchen, aber es wird sich beruhigen. Es ist momentan erstmal eine Überforderung, eine Belastung. Und das ist ja völlig klar: jeder, der eine solche Situation erlebt, wird dadurch belastet werden. Nur wenn sich der Zustand der Unruhe, der Alpträume usw. nach ein paar Monaten nicht merklich verbessert hat, kann man von Traumatisierung sprechen. Dann wäre es auf jeden Fall hilfreich, sich therapeutische Hilfe zu holen.

Was brauchen die Betroffenen jetzt?

Zu allererst brauchen sie Sicherheit. Einen Platz zum Schlafen, ausreichend Verpflegung und Raum für sich. Je mehr finanzielle Sicherheit und Perspektive, umso besser natürlich. Aber nicht für alle wird sich das gleich einstellen können. Beziehungen sind wichtig, jemandem, bei dem man sich aufgehoben fühlt, reden kann, jemanden, der zuhört und auch jemanden, der ein Schweigen aushalten kann. Optimismus hilft, die Zuversicht, dass man auch diese Krise bewältigen kann.

Es ist natürlich eine außergewöhnliche Situation. Und dennoch haben wir uns im Laufe unseres Lebens Fähigkeiten angeeignet, die uns auch jetzt helfen können. Das besinnen auf diese Fähigkeiten und auf die Unterstützung, die wir uns dabei holen können, kann unsere Zuversicht wachsen lassen. Auch der Glaube an einen Gott oder an die Gemeinschaft oder Gerechtigkeit kann uns dabei gut helfen. Und auch Humor.

Es mag für den ein oder anderen unmöglich klingen, jetzt in dieser Situation Humor zu haben und lachen zu können, aber es geht. Je mehr es gelingt, umso mehr Leichtigkeit kann ich wieder spüren.

Eines ist auf jeden Fall jetzt schon klar: alle Betroffenen, die jetzt mehr oder weniger vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens stehen, alle diese Menschen haben in den letzten Tagen einiges geleistet! Sie haben diese Katastrophe überlebt und Sie haben die ersten Tage danach gemeistert. Sie haben sich und der Welt bewiesen, dass Sie einiges aushalten können. Ich weiß für mich nicht, ob ich das könnte. Sie haben meinen größten Respekt!

Auch die Helfer haben großartiges vollbracht. Auch für sie war es oft nicht einfach und ist es jetzt auch noch nicht. Auch sie haben Bilder gesehen, die sie so schnell nicht vergessen. Es ist schön zu sehen, wie viele hilfsbereite Menschen sich aufgemacht haben und da waren und sind. In unserem Deutschland, das vor Kurzem noch der mangelnden Solidarität bezichtigt wurde.

Das macht Hoffnung und es stimmt mich zuversichtlich. Ein Sonnenstrahl in einer dunklen Zeit.