Kategoriale Abwertung

#metoo und #blacklivematters sind als Bewegungen gegen Sexismus und Rassismus in aller Munde und zum Teil auch noch und wieder auf der Straße. Dabei ist es kein Zufall, dass diese beiden Bewegungen so kurz nacheinander entstanden sind. Sie folgen vielmehr einem Bewusstsein darüber, dass Kategorien, wie sie in früheren Jahrzenten gebildet wurden mit ihren dazugehörigen Attributen nicht mehr zeitgemäß sind.

Aber jetzt erstmal ganz langsam. Was bedeutet das genau? Wieso entstehen solche Kategorien und wieso sind damit so viele Abwertungen verbunden?

Wir Menschen sind Schubladenwesen. Damit wir die Komplexität unserer Welt erfassen und verarbeiten können, bilden wir Kategorien. Schubladen also, in die wir gleiche oder ähnliche Phänomene einsortieren können und ihnen damit mehr oder weniger die gleichen Eigenschaften zuordnen können. Wenn ich beispielsweise durch einen Wald laufe , sehe ich lauter Bäume. Dicker Stamm, fest verwurzelt, betreibt Photosynthese, kann für Brennholz verwendet werden. Das sind einige Eigenschaften, die ich den Bäumen als typisch zuordne. Im Laufe meines Lebens habe ich gelernt zwischen Laubbäumen und Nadelbäumen zu unterscheiden. Immerhin. Ein Förster könnte mir bestimmt aufzeigen, welche Bäume Eiben sind und welche Eschen, welche krank und welche gesund sind, welche alt und welche jung sind. Durch seine Expertise (er beschäftigt sich nunmal viel mehr mit dem Thema) kann er viel feinere Kategorien zum Phänomen Baum bilden als ich. Und so ist es mit allen Gegenständen, Verhaltensweisen, Situationen, Lebewesen, Umweltfaktoren und sonstigen Informationen, die wir aufnehmen. Je mehr Erfahrungen wir mit einem Teilbereich haben, umso mehr Unterschiede können wir feststellen, je weniger, umso grober sind unsere Kategorien. Mit diesen Kategorien sind dann bestimmte Informationen verbunden. Typische Merkmale, Eigenschaften, Erkennungsmerkmale usw. Man nennt das Attribute und im Falle der Kategorisierung dann Stereotype.

Wenn wir uns mit einem Phänomen aber nur aus der Distanz beschäftigen, neigen wir dazu, unsere Sichtweisen darauf bestätigt zu sehen. Wir halten so lange an einer Sichtweise/Kategorie fest, solange wir sie immer wieder bestätigt fühlen. Machen wir eine Erfahrung, die nicht in unsere vorhandene Kategorie passt, sind wir gezwungen, diese zu verändern. Sie zu verfeinern oder komplett neu umzubauen. Wenn wir das nicht wollen, bilden wir die neue Kategorie der Ausnahmen. Damit gibt es die neue Schublade: „Ausnahmen dieser Kategorie“ Die alte Kategorie kann aber ziemlich original bestehen bleiben. So gab es lange Zeit den gesellschaftlichen Konsenz „Frauen sind für den Haushalt zuständig“ (siehe Werbungen der 50er Jahre). Und Menschen mit dunkler Hautfarbe seien ungebildet und gut als Arbeiter nutzbar (Entstanden durch den Kolonialismus des 15. Jahrhunderts). Marie Curie bildete dabei zum Beispiel eine Ausnahme.

Wir wissen heute, dass diese Denkweisen falsch sind und trotzdem sind sie noch in unseren Köpfen. Und dabei nicht nur in Köpfen des weißen Mannes, sondern auch in den Köpfen der Frauen und Menschen aller Hautfarben. Und so entstehen auch Ängste, die zugeschriebenen aber nicht gewollten Kategorien zu bestätigen. Daraus resultieren Anstrengungen aber auch Frustrationen. „Ich muss mich als Frau im Berufsleben beweisen und härter durchgreifen als meine männlichen Kollegen!“ oder „Wenn ich jetzt versage bestätige ich wieder das Vorurteil.“ Manchmal auch die Selbstabwertung nach dem Motto: „Vielleicht habe ich als Schwarzer doch nichts auf der Uni verloren.“ Oder: „Ich bin als Frau doch nicht so gut wie meine männlichen Kollegen.“ Es passiert uns also, dass wir individuelle Schwierigkeiten auf eine Kategorie schieben, der wir angehören.

Stereotype Thread bezeichnet einen Forschungsgegenstand, bei dessen Erforschung sich immer wieder zeigt, dass wenn in verschiedenen, v.a. aber Leistungssituationen, die Kategorie in den Mittelpunkt gestellt wird, die Gruppen dazu neigen ihre negativen Stereotype zu bestätigen. So schneiden Frauen bei Mathematiktests schlechter ab, wenn ihnen bewusst gemacht wird, dass sie eine Frau sind und Afroamerikaner zeigen bei IQ-Tests weniger Leistung wenn ihre Hautfarbe oder ihr kultureller Hintergrund hervorgehoben wird.

Für uns Menschen ist es also gar nicht leicht, aus unseren Kategorien auszusteigen. Sowohl in unserem vorurteilsvollen Denken über andere aber eben auch über uns selbst. So schaffen es sich auch Angehörige einer Kategorie gegenseitig herunterzuziehen. So höre ich immer Frauen über die Figur oder das Aussehen von anderen Frauen zu lästern. Männer machen sich da mehr über die Unsportlichkeit oder fehlende Souveränität lustig („Du musst stark sein als Mann!“). Aus Migrantenfamilien kenne ich es, dass unter Jugendlichen über Streber gelästert wird und schulische Leistungen nicht an- sondern eher aberkannt werden.

Warum aber kommt es durch die Kategorisierung zu so viel Abwertung? Zunächst muss dazu betont werden, dass die Abwertung nich unbedingt im Vordergrund stehen muss. Kategorien haben ebenso positive Zuschreibungen wie negative. So werden Frauen gemeinhin als warmherzig, liebevoll, fürsorglich, offen und das schöne Geschlecht benannt. Menschen mit afrikanischer Abstammung wird Sportlichkeit, positive Ausstrahlung, Emotionalität und Lockerheit zugeschrieben. Aber alles hat seine beiden Seiten. So kann eine Eigenschaft positiv wie negativ bewertet werden, je nach dem, in welchem Kontext sie betrachtet wird. „Es braucht Härte, um Karriere zu machen.“ oder „Es braucht Disziplin!“ Gleichzeitig wird mit der Kategorisierung fehlende Zuschreibungen als nicht gegeben angesehen. Frauen seien also nicht sachlich. Die Unterschiedlichkeit in einer Gruppe wird unterschätzt bzw. unterbewertet und so werden die Gruppenmitglieder auf die zugeschriebenen Attribute reduziert. Und das verletzt natürlich diejenigen, die die Attribute als nicht passend oder angemessen sehen. Studentinnen der Mathematik oder Informatik können wahrscheinlich ein Lied davon singen, dass Ihnen entweder die Fähigkeiten abgesprochen werden oder unterstellt wird, sie seien keine richtigen Frauen. Sie werden so aus der Kategorie geworfen (also als Ausnahme behandelt).

Wenn Mitglieder einer Kategorie auf die der Kategorie zugeschriebenen Attribute reduziert werden, ist dies abwertend , da die Werte des Einzelnen nicht mehr gesehen werden. Noch stärker ist dies, wenn die Attribute ausschließlich oder überwiegend in einem negativen Zusammenhang gesehen werden. Die Emotionalität der Frauen also bspw. als fehlende Sachlichkeit, Unklarheit oder ähnliches dargestellt wird.

Dies geschieht vor allem dann, wenn wir uns, warum auch immer von den Mitgliedern einer bestimmten Kategorie bedroht fühlen. Dies kann eine wirklich existierende Bedrohung sein, aber auch aus einer eigenen Angst heraus, für die ich dann einen greifbaren Grund suche. So kann die Existenzangst bei Arbeitslosigkeit oder drohendem Arbeitsplatzverluste dazu führen, dass Menschen Migranten als Feindbild ausmachen, ohne dass es im eigenen Ort eine nennenswerte Zahl und schon gar keine Arbeitsplatzkonkurrenz von Migranten gibt. Das Manifestieren der Bedrohung an einem konkreten Gegenstand oder einer Kategorie macht mich gefühlt handlungsfähiger. Es werden dann nach weiteren Gründen gesucht, die mein Feinbild unterstützen. Und da ich mich in der Bedrohung geschwächt fühle, besteht die sinnvolle Reaktion darin, mich gestärkt zu fühlen. Eine schnelle und einfache Möglichkeit dies zu erreichen besteht darin, mich über andere zu stellen und dies geschieht dann durch Abwertung.

Häufig streben wir auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie an. Wir sind Fans einer bestimmten Mannschaft, fühlen uns unserer Heimat verbunden oder unserer Schicht zugehörig. „Dassind meine Homies!“ Damit fühlen wir uns stärker, sind aufgehoben, Teil von etwas größerem. Gleichzeitig bilden sich daraus Rivalitäten. Schalker gegen Borussen; Rocker gegen Raver; Bayern gegen Preußen. Wir beginnen unsere eigene Kategorie aufzuwerten und die andere abzuwerten. Oder fallen Ihnen drei positive Eigenschaften zu Bayern-Fans ein?

Wie aber können wir es schaffen aus den Kategorien oder aus der Abwertung auszusteigen?

Hier gibt es ganz viele Möglichkeiten und jeder und jede sollten ihren Teil dazu beitragen. In Konflikten neigen wir schnell dazu, die Verantwortlichkeit bei der anderen Partei zu sehen. Wir nehmen unsere eigenen Möglichkeiten nicht wahr und machen daher Vorhaltungen: „Du musst das und das ändern!“ Dies führt aber bei der anderen Partei zu Widerstand und es verändert sich nichts oder die Fronten verhärten sich. Daher ist es wichtig unsere eigenen Anteile zu erkennen.

1. Austausch Austausch Austausch

Zunächst einmal ist es hilfreich, sich kennenzulernen. Je besser ich die Mitglieder einer Kategorie kenne, umso mehr bin ich dazu fähig zu unterscheiden und meine Kategorien anzureichern und zu verfeinern. Es is also hilfreich und auch notwendig, mit Menschen in den Austausch zu gehen, ganz besonders dann, wenn sie mir fremd vorkommen. Dabei kann es auch wichtig sein, die Dinge anzusprechen, die mir seltsam vorkommen, direkt über stereotype Wahrnehmungen zu sprechen und auch Stereotype über meine eigenen Kategorien zu erfragen. Was sehen andere in mir?

2. eigene Stereotype hinterfragen

Das allein wird aber nicht ausreichen. Wir müssen immer wieder unsere eigenen Schubladen hinterfragen, wie denke ich über Menschen dieser Gruppe? Was empfinde ich als typisch für sie? Gibt es Ausnahmen? Kann ich aufgrund dieser Ausnahmen meine Zuschreibungen überhaupt so aufrecht erhalten? Wie denke ich über die Kategorien, denen ich selbst angehöre? Werte ich damit andere Mitglieder dieser Kategorie ab? Werte ich mich damit selbst ab? Es geht also darum, seine eigenen Kategorien und den Bezug dazu zu hinterfragen.

Wenn mich jemand darauf hinweist, dass meine Aussage, Meinung, Haltung stereotyp, abwertend, pauschalisierend ist, höre ich dann zu oder gehe ich in den Widerstand? Kann ich nachvollziehen, warum andere von meinem Verhalten oder Aussagen verletzt sind? Wenn nicht, was brauche ich, um sie besser verstehen zu können?

Nur wenn ich mir meiner eigenen starren Zuschreibungen bewusst bin, kann ich beginnen, sie aufzuweichen. Indem ich vermehrt auf Unterschiede achte, kann ich die Heterogenität einer Gruppe wahrnehmen, die ich zuvor als homogen wahrgenommen habe. Zudem kann ich auch mit den Angehörigen einer Kategorie ins Gespräch kommen. Was lösen die Zuschreibungen in ihnen aus. uns ist ja oft nicht bewusst, dass ein Attribut auch verletzend wirken kann. Somit können wir ein tieferes Verständnis erlangen.

Gleichzeitig sollten wir uns der Stereotype bewusst werden, die wir unseren eigenen Kategorien zuordnen. Sind diese Zuschreibungen wirklich gerechtfertigt? Wie gehe ich mit Mitgliedern meiner Kategorie um, die nicht hinein passen? Werte ich sie ab? Versuche ich sie zu zwingen, sich den Erwartungen anzugleichen?

3. nicht in die eigene Kategorie pressen lassen

Wenn mich jemand auf eine meiner Kategorien anspricht, ist es dann wichtig, mich dort nicht hineinpressen zu lassen. Zum einen habe ich genug Gemeinsamkeiten mit der anderen Person, um die Notwendigkeit einer Kategorie zu hinterfragen. Egal ob Mann oder Frau, egal, ob schwarz, weis oder grün, wir alle sind Menschen. Warum sollte mir eine Eigenschaft eher zugeschrieben werden, als einem anderen Menschen auf der Welt? Wozu sollte es wichtig sein, dass ich dieser Kategorie anzugehören?

In den allermeisten Fällen ist es nicht wichtig und in den allermeisten fällen empfinde ich die Eigenschaft nicht als typisch oder notwendig für mich. Warum sollte ich als Mann besonders stark sein müssen? Wozu sollte es notwendig und hilfreich sein, dass ich meine Gefühle unterdrücke? Ist mir als Deutscher wirklich Ordnung besonders wichtig? Teilweise ja, teilweise nein. Das absolute in der Aussage ist für mich nicht stimmig und damit nicht gültig.

4. auf eigene Individualität vertrauen

Wie gehe ich damit um, wenn jemand über eine Kategorie spricht, der ich selbst angehöre, verfalle ich dann in die Not, meine Kategorie zu verteidigen oder schaffe ich es, auf die Pauschalisierung hinzuweisen und die Individualität deutlich zu machen?

Es braucht aber auch eine ganze Menge Mut, sich über seine eigene Kategorie zu erheben. Ich laufe ja dann Gefahr, nicht mehr dazuzugehören. Aber ich bin einzigartig, wir alle sind einzigartig. Nur weil wir zufällig ganz unterschiedlichen Kategorien angehören, heißt es nicht, dass wir uns auch in typischer Weise dazu verhalten müssen. Wir dürfen so sein, wie wir sind, ganz egal, was andere über uns denken (wollen). Wir brauchen uns dann auch nicht zu verteidigen, wir müssen lediglich zu uns selbst stehen. Und das ist häufig das Schwierigste.

Gleichzeitig müssen wir nicht anfangen, dem Stereotyp unserer Kategorie möglichst nicht zu entsprechen. Als Frau muss man nicht besonders hart als Führungskraft sein. Als Mensch mit dunkler Hautfarbe muss ich nicht überkorrekt sein.

Jacinda Ardern, Neuseelands Pemierministerin wird folgendes Zitat zugesprochen: „One of the criticisms I‘ve faced over the years is that I‘m not aggressive enough, or assertive enough, or maybe somehow, because I‘m empathetic, it means I‘m weak. I totally rebel against that . I refuse to believe that you cannot be both compassionate and strong .

Und das beschreibt es sehr passend. Seien Sie nicht besonders männlich, weiblich oder sonst irgendetwas. Seien Sie einfach sie selbst. Das können Sie eh am Besten. Da sind Sie authentisch und spürbar. Und da können Sie Ihre Stärken am Besten ausspielen.